Wickie und die starken Männer
Das Wikingerboot aus “Wickie und die starken Männer” ist ein historisierender Nachbau, der sich an realen Vorbildern orientiert; natürlich hat man sich viel künstlerische Freiheit gegönnt, um die Optik an die Zeichentrickserie anzupassen; die gesamten Proportionen, der Drachenkopf sowie das schon zum Klischee gewordene rot-weiß gestreifte Segel.
Die Segel der Wikingerboote waren aus einzelnen Stoffbahnen zusammengenäht, und zeigten tatsächlich meist ein gestreiftes Muster – wobei man aber verschiedene Kombinationen benutzte.
Die sehr frühen Schiffe waren noch reine Ruderboote, erst um das 7. Jh entwickelten sich die Segelboote.
Den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichten diese Schiffe im 11. Jh – für die damalige Zeit absolute High-Tech Fahrzeuge, raffinierte und durchdachte Bauweise, alltagstauglich, und doch grazil mit unnachahmlich eleganter Linienführung.
Die Wikinger entwickelten eine Reihe Schiffstypen für jeweils spezielle Aufgaben; die berüchtigsten sind sicher die fast nur für militärische Zwecke verwendeten Langboote -”Drachenboote”.
Diese waren für die damalige Zeit enorm schnell; man vermutet bei idealen Bedingungen Geschwindigkeiten bis knapp 20 Knoten – sozusagen die Überschalljäger des Frühmittelalters.
Die Langboote wurden gesegelt oder gerudert; in Ufernähe und im Kampf nur gerudert.
Sie hatten ein Breiten-/Längenverhältnis von etwa 1:7, teils bis zu 1:10.
Die kleinsten Exemplare besaßen 13, meistens 20 – 25, in Extremfällen bis 45 Ruderpaare. Sie konnten bis ca. 45m lang sein.
Durch ihre flache, leichte und schlanke Bauweise jedoch für rauhen Seegang ungeeignet.
Und wenn man sich das Finale von “Wickie und die starken Männer” ansieht, bekommt der Begriff “einen Drachen steigen lassen” eine ganz neue Bedeutung…

Dieser in München und Prag entstandene Nachbau für die 1. Wickie-Verfilmung trägt den Namen “Hugin”; das hochseetaugliche Boot in Malta “Munin”
Benannt nach den beiden Raben des germanischen Gottes Odin.
(Hugin & Munin — der Gedanke & das Gedächtnis)
Länge 17,5 m; Breite 5,5 m; Verdrängung: 13 Tonnen; Masthöhe 14m; Segelfläche 100 qm;
Reiseflughöhe 11500 ft.
Die starken Männer aus Flake sind eine kleine Truppe, für die ein Langboot viel zu groß wäre, daher ist unsere “Hugin” in der Bauform einem kleineren Typ der Wikingerschiffe angelehnt, der “Knorr”, die primär als Frachtboot Verwendung fand.
Andererseits wurden die großen Reisen bis nach Grönland / Nordamerika bevorzugt mit diesem Bootstyp gefahren: Mit ihrer kompakteren, hochbordigeren und bauchigeren Form waren sie im Gegensatz zu den Langbooten für Einsätze auf hoher See geeignet. Allerdings war die ausschließlich gesegelte “Knorr” etwas langsamer; mit Nachbauten wurden jedoch Marschgeschwindigkeiten von gut 8 kn, und Spitzengeschwindigkeiten um 12 kn erreicht.
Die Ruder kamen bei diesem eher späten Schiffstyp nur beim Manövrieren im Hafen oder bei Engstellen zum Einsatz; mit nur 15 – 30 Mann Besatzung rudert man nicht mal eben nach Vinland….
Die echten Knarren hatten meistens nur Halbdecks im Bug- und Heckbereich,
der Laderaum in der Mitte war offen !
Bedingt durch die flache Bauweise, gab es bei allen Bootstypen der Wikinger unter den Decksplanken kein nennenswertes Raumangebot – ein geräumiger Laderaum wie auf dem Piratenschiff, aus dem Wickie sich befreit, ist reine Fiktion.

Für die Besatzung gab es keine geschlossenen Unterkünfte, alles spielte sich auf dem offenen Deck ab. Einziger “Schutz” vor den Unbilden des Wetters waren an Deck aufgestellte Zelte.
Und die Toiletten hat nicht nur Ylvi bei den Piraten vermißt – die gab es grundsätzlich nicht.
Es wurde ganz einfach über die Bordwand gesch…..
Komfortable Vergnügungsdampfer waren diese Wasserfahrzeuge beileibe nicht ! Man muß heute noch einen Heidenrespekt vor diesen Leuten haben, die sich mit diesen offenen Nußschalen auf den ruppigen Nordatlantik hinausgewagt haben.

Das Boot ist auch mit einem anderen Kopf und veränderter Optik als Schiff der P-P-P-Piraten zu sehen.
Es sind für den ersten Wickie-Film 2 Nachbauten entstanden: Ein hochseetüchtiges Boot, das in Malta zum Einsatz kam, und eine “Flachwasserversion”, die wir hier am Walchensee gesehen haben.
Diese Boote besitzen ein Stahlgerippe, und lassen sich zum Transport in 4 Teile zerlegen.
( Mast, Rumpf, Schmuck an Bug & Heck )
Das Walchenseeboot war auch im Wasserbecken des Studios in Malta im Einsatz,
und steht jetzt in Geiselgasteig.

Es war amüsant anzusehen, wenn unvorbereitete Ausflügler aus südlicher Richtung ankamen und sich urplötzlich mit dem für oberbayerische Verhältnisse eher ungewöhnlichen (hüstel) Anblick konfrontiert sahen. Dann wurde hektisch im Rucksack nach der Kamera gekramt, und wenn man die vergessen hatte, nach dem Fotohändü, und WEHE wenn das auch nicht da war, dann gab´s unfreiwillige Komödien aus dem Stegreif mit hohen Werten auf der nach oben offenen Bertha-das-Ei-ist-hart-Skala.


mit einem Teleobjektiv kam im Mai 2010 wenigstens dieses Foto zustande.
Wickie auf großer Fahrt
Für den 2. Film sind 2 neue Rümpfe gebaut worden – die Bavaria hat sich von einer Ihrer Hauptattraktionen der Filmtour natürlich nicht mehr getrennt, und in Malta wurde wiederum mit 2 Booten gedreht.
Die Maße sind identisch, nur 20cm flacher ist das Boot geworden, damit es beim Straßentransport besser unter diversen Brücken hindurchpaßt.
Dieses Boot trägt den Namen der germanischen Göttin der Ehe und der Liebe: Freya
Njördr, deren Vater, ist praktischerweise der Gott des Meeres, des Windes;
Schutzgott der Seeleute und Fischer.

Auf einem Spezialtieflader ging es nach Walchensee, wo der Konvoi gegen 6:30 eintraf.
Dort hat man die “Freya” mit einem Autokran in den See gehievt.
Sinnigerweise direkt vor dem Gasthaus Edeltraut, in dem “Bully” Herbig genau ein Jahr zuvor seinen Freizeitpark “Wickieland”vorstellte….





Witz am Rande, Teil 1: Wie zu sehen, hat das Gasthaus Edeltraut auch einen Bootsverleih. Der Chef sah selber eine ganze Weile dem Treiben vor den Hause zu; dabei meinte ein Bekannter zu ihm: “Jetzt übertreibst´ es aber a bisserl mit Deine neue Mietboote !”
Witz am Rande, Teil 2, nur für Wickie-Insider:
amtliches Kennzeichen des Autokranes: TÖL – E 114



Das Boot ist mit zwei Außenbordmotoren ausgerüstet, die jeweils in einem senkrechten Schacht im inneren des Rumpfes eingebaut sind. Nur die Schraube ragt unter dem Rumpf heraus – die Schächte sind einfach von oben zugänglich, die Öffnung ist mit einer Ruderbank perfekt getarnt.
Bemerkenswert ist das aufgrund der Tatsache, da auf dem Walchensee normalerweise
keine Motorboote zugelassen sind.


Nach Drehschluß im letzten Tageslicht…..


Und damit stehlen Sie jeder Luxusjacht die Show. Wetten ??

Da mußte man fix sein: nach dem “Danke, aus” schnell die paar Meter ans Ufer, Foto gemacht, und dann gleich wieder zurück in das tarnende Unterholz. Das ist die Szene mit dem verunglückten “rückwärts ausparken” – Manöver



Die “Freya” verbrachte die nächsten 4 Jahre relativ ungenutzt in Jachenau, bevor sie 2016 für ein gutes halbes Jahr nach Rosenheim vor den früheren Lokschuppen umzog. Die Bahnlinie durch Rosenheim verlief ursprünglich anders als heute, nahe am Stadtzentrum; daher wird der erste Lokschuppen von Rosenheim heute als zentral gelegenes Ausstellungsgebäude rege genutzt.
Durch sich regelmäßig ändernde Sonderausstellungen haben sich die Rosenheimer wohlverdient einen guten Ruf erarbeitet.
Als 2016 eine Sonderausstellung zum Thema “Wikinger” stattfand, lag es natürlich nahe, sich ein Wikingerboot als Blickfang vor die Türe zu stellen – und da war die “Freya” wieder gefragt.
Danach blieb sie gleich in der Gegend; nach einigen Umbauten für eine Zulassung zur Personenbeförderung ist sie seit Anfang August 2017 auf dem Chiemsee im Einsatz.
Mitfahren darf jedermann, auch für Gruppen kann das Boot gemietet werden.
Nähere Infos hier:
Ich bin mir sicher, dem “Kini” hätte das Boot gefallen !
(Und Richard Wagner wäre der Auftrag zu einer Oper mit Drachenboot zugekommen….)
Wer schon immer wissen wollte, wie man mit so einer offenen Nußschale über den Atlantik segelt:
Burghard Pieske, Weltumsegler, der auch hier bei den “Wickie” Filmproduktionen das Boot betreute, ist 1991/1992 mit einem nachgebauten Wikingerboot auf historischer Route nach Vinland gesegelt.
Die Erlebnisse hat er in einem überaus lesenswerten Buch verarbeitet.
Interessant, spannend und mit dezentem Humor gewürzt.
Expedition Wiking Saga
die Internetseite von Burghard Pieske
Ein detailliertes Buch über die Bauweise der Wikingerschiffe mit zahlreichen,
teils beigelegten großformatigen Zeichnungen findet ihr beim Arbeitskreis historischer Schiffbau
“Das Gokstadschiff und seine Boote”

Das auf einer Halbinsel gelegene Museum ist mit der Buslinie 30 (ab Nationaltheater)
oder mit dem 91er Boot vom Rathausplatz zu erreichen.







Das aus dem 4. Jahrhundert stammende – und noch ausschließlich geruderte Nydamboot.
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